Kollektive Rechtsdurchsetzung für Verbraucher:innen

Die individuelle Rechtsdurchsetzung löst ein Problem nur im jeweiligen Einzelfall. Zum Schutz allgemeiner Interessen von Konsument:innen können Verbände (zB VKI, AK) und/oder Qualifizierte Einrichtungen (zB VKI, AK, VSV, noyb)  je nach gewähltem Klagsregime mit Unterlassungs- und Sammelklagen bzw mit Abhilfeklagen gerichtlich gegen Unternehmen vorgehen.


Seit 18. Juli 2024 stehen zur Durchsetzung von Verbraucher:innenrechten grundsätzlich zwei mögliche Klagsregime zur Verfügung – Unterlassungsklagen und „Sammelklagen österreichischer Prägung“ einerseits sowie Verbandsklagen auf Unterlassung und Verbandsklagen auf Abhilfe andererseits. Die entsprechenden Konsumentenschutzorganisationen haben daher die Wahl, nach welchen Bestimmungen sie eine Klage erheben wollen.

Unterlassungsklagen und „Sammelklagen österreichischer Prägung“ sowie Musterprozesse (bisheriges Klagsregime)

Unterlassungsklagen

Wenn ein Unternehmen regelmäßig in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) oder in Vertragsformblättern gesetz- oder sittenwidrige Klauseln verwendet, kann auf Unterlassung geklagt werden. Dieses Recht wird insbesondere der Bundesarbeitskammer (AK) und dem Verein für Konsumenteninformation (VKI) eingeräumt, welche in der Praxis häufig davon Gebrauch machen. Wenn das Unternehmen nach Abmahnung durch einen dieser genannten Verbände in angemessener Frist eine mit Vertragsstrafe besicherte Unterlassungserklärung anbietet, so darf das Unternehmen die abgemahnten Klauseln nicht mehr verwenden und sichgegenüber Kund:innen auch nicht darauf berufen. Gibt das Unternehmen nach Abmahnung keine solche Unterlassungserklärung ab, so kann der Verband eine Unterlassungsklage gegen das Unternehmen einbringen.

„Sammelklage österreichischer Prägung“

Bei sogenannten „Sammelklagen österreichischer Prägung“ werden gleichartige Ansprüche von Konsument:innen gegen ein Unternehmen an einen klagsbefugten Verband (VKI, AK) abgetreten und von diesem alle gleichzeitig eingeklagt. Häufig werden solche „Sammelklagen“ mit einem Prozesskostenfinanzierer geführt.

Grenzüberschreitende Unterlassungs- und Sammelklagen

Um unzulässigen grenzüberschreitenden Geschäftspraktiken entgegenzuwirken, können auch Konsumentenschutzeinrichtungen anderer EU-Staaten in Österreich solche Unterlassungs- bzw Sammelklagen einbringen, wenn österreichische Unternehmen die Interessen von Konsument:innen in anderen EU-Staaten schädigen. Umgekehrt können die österreichischen Verbände gegen Verstöße von Unternehmen in anderen EU-Staaten vorgehen, wenn durch die Verstöße die Interessen der österreichischen Konsument:innen beeinträchtigt werden.

Musterprozesse

Neben den eigentlichen Unterlassungs- und Sammelklagen führen der VKI und die AK auch Musterprozesse, um wichtige Rechtsfragen zu klären. Dabei können auch Fälle mit verhältnismäßig geringen Streitwerten bis vor den Obersten Gerichtshof gebracht werden.

Verbandsklagen auf Unterlassung sowie Verbandsklagen auf Abhilfe (neues, zusätzliches Klagsregime)

Die nach dem bisherigen Regime klagsbefugten Verbände (VKI, AK) sind auch für die Erhebung von (innerstaatlichen) Verbandsklagen auf Unterlassung bzw Abhilfe berechtigt. Zusätzlich ist die AK auch zur Erhebung grenzüberschreitender Verbandsklagen auf Unterlassung bzw Abhilfe befugt. Die Unterscheidung zwischen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verbandsklagen richtet sich nach dem Klageort (wird bspw ein ausländisches Unternehmen von einer österreichischen Verbraucherschutzeinrichtung vor österreichischen Gerichten geklagt, so handelt es sich um eine innerstaatliche Verbandsklage).

Die Klagsbefugnisse der oben genannten Verbände ergeben sich jeweils aus dem Gesetz (siehe QEG ). Es ist jedoch auch anderen Verbraucherschutzeinrichtungen möglich, Verbandsklagen auf Unterlassung bzw Abhilfe zu erheben, wenn diese als sogenannte Qualifizierte Einrichtung anerkannt wurden (derzeit zB Verbraucherschutzverein [VSV], noyb). Das Verzeichnis der österreichischen Qualifizierten Einrichtungen kann über  die Webseite des Bundeskartellanwalts abgerufen werden. Die Liste aller europäischen Qualifizierten Einrichtungen findet Sie hier.

Verbandsklagen auf Unterlassung

Die Verbandsklage auf Unterlassung nach dem neuen Klagsregime unterscheidet sich von den bisher (und weiterhin) bestehenden Unterlassungsklagemöglichkeiten darin, dass nunmehr jeder Rechtsverstoß eines Unternehmens, welcher die kollektiven Interessen von Verbraucher:innen beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht, Gegenstand einer Klage sein kann. Damit können rechtswidrige AGB-Klauseln und faktische Verstöße beanstandet werden.

Ab rechtskräftiger Beendigung des Unterlassungsverfahrens verbleibt den Verbraucher:innen jedenfalls noch eine Frist von sechs Monaten, um ihren Anspruch mit Einzelklage oder Beitritt zu einem Verbandsklageverfahren auf Abhilfe geltend zu machen.

Verbandsklagen auf Abhilfe

Mit der Verbandklage auf Abhilfe ist es den klagsbefugten Verbänden möglich, Ansprüche von zumindest 50 Verbraucher:innen aufgrund im Wesentlichen gleichartiger Sachverhalte gegen ein Unternehmen geltend zu machen.

Kurzüberblick zum Verfahrensablauf:

  • 1. Verfahrensabschnitt: Das Gericht prüft die Prozessvoraussetzungen und erlässt einen Beschluss über die Durchführung des Verfahrens. Dieser Beschluss wird von der Justiz im Internet veröffentlicht (siehe Veröffentlichung des HG Wien zu Verbandsklagen auf Abhilfe).
  • 2. Verfahrensabschnitt: Die Verfahrensparteien können sodann einen sogenannten Zwischenantrag auf Feststellungen nach § 624 Abs 2 ZPO einbringen. Dieser Zwischenantrag betrifft alle vom geltend gemachten Anspruch betroffenen Verbraucher:innen in derselben Weise und umfasst Rechte oder Rechtsverhältnisse, von deren Bestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt. So können einzelne Aspekte des Verfahrens vor die Klammer gezogen werden.
  • 3. Verfahrensabschnitt: Hier wird über die einzelnen Leistungsbegehren abgesprochen, bspw Schadenersatz, Reparatur, Ersatz, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Preises. Konsument:innen erhalten die Leistungen in der Regel unmittelbar, also ohne einen weiteren Prozess.

In der Klage kann der klagsbefugte Verband auch die Erklärung abgeben, dass weitere Verbraucher:innen dem Verfahren beitreten können. Ein solcher Beitritt kann bis drei Monate nach Veröffentlichung der Entscheidung über die Durchführung des Verfahrens (Ende des ersten Verhandlungsabschnitts) erfolgen. Mehr als 250 Euro darf die Klagsorganisation für den Beitritt zur Klage nicht verlangen. Im Vergleich zur Klagsführung als Einzelkläger:in ist diese Möglichkeit deutlich günstiger.

Der Beitritt zu einer Verbandsklage auf Abhilfe hemmt den Ablauf von Verjährungsfristen rückwirkend mit dem Zeitpunkt der Einbringung der Verbandsklage bei Gericht.

Nach einer etwaigen Zurückweisung einer Verbandsklage auf Abhilfe verbleibt beigetretenen Verbraucher:innen jedenfalls noch eine Frist von drei Monaten ab Rechtskraft der Zurückweisungsentscheidung, um ihren Anspruch in einem Einzelverfahren oder durch Beitritt zu einer (anderen) Verbandklage geltend zu machen.

Der klagsbefugte Verband und das beklagte Unternehmen können (mit Zustimmung des Gerichts) auch einen Vergleich über den Streitgegenstand schließen, der die beigetretenen Verbraucher:innen bindet. Dieser Vergleich wird im Internet von der Justiz veröffentlicht.

Gewinnt der klagsbefugte Verband das Verfahren, hat das beklagte Unternehmen grundsätzlich direkt an die Verbraucher:innen zu leisten.

 

WICHTIG

Wenn Sie mit gröblich benachteiligenden Geschäftsbedingungen konfrontiert werden oder Informationen über die systematische Anwendung aggressiver oder irreführender Geschäftspraktiken durch ein Unternehmen haben, können Sie die entsprechende Konsumentenschutzeinrichtungen (zB VKI, AK bzw ggf auch VSV, noyb) darauf hinweisen. Auch wenn Sie selbst die Geschäftsbedingungen nicht akzeptiert oder auf die unlauteren Praktiken nicht hereingefallen sind, können Sie dadurch mithelfen, andere Konsument:innen vor Schaden zu bewahren.

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