OGH zu Belehrung über das Rücktrittsrecht bei Lebensversicherungen
veröffentlicht am 13.12.2019
Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer muss nicht über die Modalitäten zur Ausübung des Rücktrittsrechts informiert werden.
Um ein gesetzliches Rücktrittsrecht wahrnehmen zu können, ist es wichtig zu wissen, mit welchem Zeitpunkt die Rücktrittsfrist zu laufen beginnt. Beim Onlinekauf einer Ware beginnt die Frist beispielsweise in dem Zeitpunkt, in dem die Ware beim Verbraucher einlangt.
Aber wie ist das bei Versicherungen?
Zustandekommen eines Versicherungsvertrags
Ein Versicherungsvertrag kommt – wie jeder andere Vertrag auch – durch die übereinstimmenden Erklärungen zweier Vertragspartner zu Stande. Es braucht also ein Angebot und die Annahme des Angebots, damit ein Vertrag zustande kommt. Üblicherweise tritt der Versicherungsnehmer als Antragsteller auf, indem er auf einem vom Versicherer bereitgestellten Formular einen Antrag auf Erteilung von Versicherungsschutz (= Angebot) stellt. An diesen Antrag ist der Versicherungsnehmer sechs Wochen gebunden.
Die Annahme des Antrags erfolgt zumeist durch Zusendung des Versicherungsscheins – der „Polizze”. Diese ist die Beweisurkunde über den Inhalt des Versicherungsvertrages und muss sämtliche individuellen Vertragsbestimmungen (Versicherungsnehmer, versicherte Sachen oder Personen, versicherte Leistungen, Prämie, Vertragsdauer) enthalten.
Dass die Polizze die Annahme des Vertrags ist und wesentliche rechtliche Wirkungen entfaltet, wie z.B. der Beginn des Versicherungsschutzes, ist einem vielleicht nicht immer bewusst, auch weil die Polizze oft erst Wochen später zugeschickt wird. Zusätzlich verwirrend für KonsumentInnen wird es dann, wenn in besonderen Fällen ungeachtet der Polizze ein sofortiger Versicherungsschutz in Form einer vorläufigen Deckungszusage erteilt wird. Läuft damit der Vertrag schon oder nicht? Und was bedeutet das für das Rücktrittsrecht, dass das Versicherungsvertragsgesetz Versicherungsnehmer/innen einräumt?
Durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer/innen
Versicherung ist eine komplexe Materie und das Zusammenspiel von Versicherungsbedingungen, Antrag und Polizze für Konsumentinnen und Konsumenten nicht immer leicht zu durchschauen. Transparenz und verständliche Informationen, die Verbraucher/innen ihre Rechtsposition verdeutlichen und ihnen zur erfolgreichen Durchsetzung ihrer Rechte verhelfen, wären aus konsumentenschutzrechtlicher Sicht notwendig.
Der OGH hat in seiner kürzlich ergangenen Entscheidung eine weniger konsumentenfreundliche Haltung eingenommen und spricht in seiner Entscheidung vom "durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer". Im konkreten Fall ging es um die Frage, ob die Versicherungsnehmerin ordnungsgemäß über ihr Rücktrittsrecht bei einem Lebensversicherungsvertrag belehrt wurde. Eine unterbliebene oder fehlerhafte Belehrung über das Rücktrittsrecht der Klägerin hätte weitreichende Folgen gehabt, denn aus dem 2-wöchigen Rücktrittsrecht wäre ein unbefristetes geworden!
Im gegenständlichen Versicherungsvertrag war auf Grundlage des im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in Geltung gestandenen § 165a Versicherungsvertragsgesetzes geregelt, dass Versicherungsnehmer/innen berechtigt sind, binnen zweier Wochen nach dem Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten. Regelungen zur Form und Modalitäten des Rücktritts sieht das Gesetz nicht vor. Der Gesetzgeber erfüllte damit die europarechtlichen Vorgaben, die die Festlegung der „übrigen rechtlichen Wirkungen des Rücktritts und die dafür erforderlichen Voraussetzungen“, insbesondere was die Modalitäten betrifft, nach denen der Versicherungsnehmer von seinem Rücktrittsrecht in Kenntnis gesetzt wird, dem jeweiligen Mitgliedstaat überließen.
Bei der Frage, ob ein Versicherungsnehmer ohne konkrete Information selbstverständlich wissen muss, dass mit Zugang der Polizze die Frist zur Ausübung des Rücktrittsrechts zu laufen beginnt, geht der Oberste Gerichtshof vom durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer aus. Diesem sei "schon nach allgemeinen Vertragsgrundsätzen verständlich, dass sein Antrag eine Annahme erfordert und dass damit der Vertrag zustandekommt. Der Zugang der Polizze als wirksame Annahme des Versicherungsantrags ist daher für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar gleichzeitig die Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags. Einer weiteren Belehrung bedurfte es nicht."